Wir verlassen das Valle Verzasca und fahren rüber ins Valle Maggia, welches wir im Vorjahr ausführlich besucht hatten. Hinauf nach Bosco Gurin quälen wir unseren Wagen. Eine guterhaltene und sehenswerte Walsersiedlung auf 1500 Metern über Meer als Entschädigung. Wie in den Dörfern des Verzasca Tasl schlägt einem auch aus Bosco Gurin eine Stimmung gezeichnet durch Kargheit und Wildheit entgegen, welcher die Bewohner immer schon mit Robustheit und Verzicht begegneten und es irgendwie aushielten. Wir selber haben in unserer Woche hier im Tessin auf wenig verzichten müssen. Herbststimmung, frische Kastanien, guter Wein, Alpkäse... und vor allem die ersten wunderbaren Ferien zu Dritt.

Regenwetter als passende Kulisse für unseren Ausflug ins hinterste Dorf im Verzasca-Tal. Das Dorf Sonogno ist Ausganspunkt und Ende des bekannten Jugendbuches "Die schwarzen Brüder" von Lisa Tetzner. Aus Geldnot wurden die Buben nach Mailand verkauft, um dort als Spazzacamini zur Reinigung der Kamine in den Herrenhäusern eingesetzt zu werden. Das Dorfmuseum ist sehenswert, insbesondere die originale Küche und das Schlafzimmer lassen nachvollziehen, weshalb das Verdingen in diesem Tal Tradition hat.

Wir wandern durchs wild-romantische Verzasca Tal. Eine der Unternehmungen, die mit Kleinstkind Sinn macht. Dem Verzasca-Fluss mit seinem türkisblauen Wassern entlang. Durch Dörfer mit den typischen grauen Steinhäusern mit weissem Rand um die Fenster. Bei perfektem tessiner Herbstwetter durch Kastanienwälder in den schönsten Farben. So wunderbar das Tal heute für Touristen, so uninteressant war es über Jahrhunderte für Eroberer. Zu abgelegen und zu karg. Und weil niemand hierher kommen wollte um sie zu erobern, verdingten sich die Männer des Verzasca-Tals halt als Söldner, und eroberten ihrerseits in fremdem Namen.

Schon James Bond stürzte sich von dieser imposanten Mauer. Wir begnügen uns mit einem Blick in die Tiefe. Beeindruckend alleweil. Ein paar solche Mauern mehr, und die Energiewende wäre Tatsache.

Das Rustico bietet eine wohlige Kaminfeuer-Geborgenheit. Geheizt wird ausschliesslich mit Holz, welches der Holzmann einmal pro Woche im Rückenkorb durch die engen Gassen trägt und liefert. So behaglich schön das Kaminfeuer bei Wein (Merlot del Ticino), Buch und mit junger Familie am Abend, so mühsam das Einfeuern am morgen. Aber was ist das schon für ein Mühsal im Vergleich zum kargen Leben von Corippos Bewohnern im vorletzten Jahrhundert als Viehzüchter. Unsere Gesellschaft kommt aus einem "Age of Less" (David Bossart), und vielleicht steuern auch wieder darauf hin. Less ist nicht schlecht.
Das "Ferienhaus" als Unterkunftsform, gelegen an einem idealen Ausgangspunkt für Unternehmungen, eignet sich im übrigen perfekt für Ferien mit Kind.

Unser gemietetes Rustico steht im mystischen Dorf Corippo. Ein winziger Wendeplatz neben einer uralten Kirche, umgeben von einem maximal kompakten und denkmalgeschützten Dorf. Eng aneinandergeschmiegt stehen die alten, kleinen Steinhäuser am Hang, sich seit Jahrhunderten gegenseitig gegen Naturkräfte und Waldgeister schützend. Trotzig und robust. Von ehemals 294 Einwohnern (1850) sind noch 12 geblieben. 12 permanente Einwohner. Sie bilden die kleinste Gemeinde der Schweiz mit wunderbarem Blick gen Süden aufs wilde Tal.
2009 wurde hier der Mystery-Thriller "La valle delle ombre", "The Valley" gedreht. Einige Geisterutensilien liegen noch im Kastanienwald herum. Man hätte sich keinen besseren Drehort aussuchen können.

Ein neues Reisekapitel ist aufgeschlagen. Weniger aus geographischer Sicht als vielmehr aus soziodemographischer Perspektive.Die ersten Ferien mit Sohnemann Jonas (2.5 Monate alt) führen uns, den herbstlichen Verlockungen als auch der Vernunft folgend, knapp über die Alpen ins Valle Verzasca. Für eine Woche Tessin mit mehr Gepäck im Volvo-Fond als für eine ausgedehnte Weltreise über mehrere Kontinente und Klimazonen.

Keine Reisedestination im in diesem Blog üblichen Sinn. Und dennoch eine unserer liebsten Reisedestinationen, um den Alltag hinter uns zu lassen. Der Tessinerkeller in Zürich an der Neufrankengasse. Wo sich Guevarra und Guisan gute Nacht sagen, wo wir unzählige schöne Stunden verbrachten. Nun ist Lichterlöschen, eine Institution macht dicht.

Heute gehen wir unser Hochland-Rind besuchen. Auf der Alp Cimetta verbringt es eine tolle Jugend hoch über dem Lago Maggiore. Alles andere als für die Katz, dieses "Kuhinvestment". ökologisch, einzigartig, gesund... und ergiebiger als alle Bankprodukte. Die Alp selber ist überlaufen, wen wunderts ob der Aussicht. Die Ruhe des Maggiatals behagt uns mehr.




Unser Rind. Mitte, Klein.

Wanderung durchs Maggia Tal, von Coglio bis nach Cevio. Herrliche Wege durch Kastanienwälder, aber auch mit Etappen der Kantonsstrasse entlang. Ein Tal voller Kleinode. Empfehlenswert die Pensione Coglio wo wir 2 Mal nächtigen und das Grotto Pozzasc mit seiner Holzfeuerpolenta. Das Gute liegt oft so nah.